Unterwegs auf dem Fernradweg Flow Vélo

Feuillade (dpa/tmn) – Flow Vélo heißt ein neuer Fernradweg, der über 290 Kilometer von Thiviers in der Dordogne bis an die Atlantikküste verläuft – samt Fährpassage auf die Insel Aix. Die Route führt vor allem über entlegene Nebenstraßen, Feldwege und umgestaltete Bahntrassen. Eine Chronologie:

Erster Tag: Von Blumenkästen und Kondomen

Der Zug ist in die grüne Dordogne geruckelt nach Thiviers, Startpunkt der
Flow Vélo. Das Städtchen atmet Provinzstimmung. Es weckt beim Spaziergang am Nachmittag ein Faible für die Symmetrie von Holzfensterläden, Blumenrundkästen und Ziegelschornsteinen.

Das Leben fließt hier gemächlich dahin. Falls es mal stärker pocht, hängen Kondomautomaten vor Apotheken. Lichteffekte in Grün und Blau setzt abends das Rathaus. Das einzige Stadthotel, «Hôtel de France et de Russie», liegt in englischer Aussteigerhand.

Zweiter Tag: Pannenhilfe vom Profi

Bis Saint-Pardoux-la-Rivière ist eine Bahntrasse zum Radweg umfunktioniert worden. Das ist fantastisch. Beidseits leuchtet das Wiesengrün, Baumstämme tragen Überzüge aus Efeu und Moos. Eichen wachsen hier, Buchen, Maronen, Haselnüsse, Ginster. Der Kiesbelag knirscht unter den Reifen. Die Luft ist frisch, frei von Industrie.

Ein Abstecher bringt Radler nach Saint-Jean-de-Côle. 359 Einwohner, der Ort steht auf der Liste der schönsten Dörfer Frankreichs. Den Urgrund im Mittelalter legten ein Kloster und das Schloss Marthonie.

Panne! Dass dies in Saint-Pardoux-la-Rivière geschieht, zwei Schiebeminuten von der einzigen Radwerkstatt im Umkreis von 30 Kilometern, kann eigentlich kein Zufall sein.

Reparaturprofi Gabriel Dumont, 43, hat leichtes Spiel und erzählt beim Schlauchwechsel von seiner Zeit als Radamateur der obersten Kategorie. Bis zu 25.000 Trainingskilometer legte er pro Jahr zurück. Dass Dumont in seiner Karriere 53 Siege einfuhr und sogar im selben Team wie der deutsche Olympiasieger Olaf Ludwig radelte, muss man ihm aus der Nase ziehen. Angeben ist seine Sache nicht.

Die Strecke wellt sich durchs Land, samt giftiger kleiner Anstiege. Aufstiege und Abfahrten, Sonne und Schatten, Kurven und Geraden machen die Flow Vélo quasi zum Sinnbild des Lebens. Bis zum Tagesziel Feuillade sind die Kräfte erschöpft.

Dritter Tag: Stadt, Land, Fluss

Am Morgen zwitschern die Vögel. Der Wind weht, Zweige und Hagebuttensträucher rascheln. Es geht weiter über flaches Felderland mit sattem, leuchtendem Grün.

Angoulême wirkt dann mit seinen 42.000 Einwohnern fast großstädtisch. Die Nachteile: eine zehrend lange Zufahrt, Abgase, Lärm. Die Vorzüge: die Gastrokultur, die Markthalle, die Blumenpracht um das Rathaus, illusionistische Wandmalereien und die Kathedrale.

Nach der Dosis Urbanität tut die Rückkehr aufs Land gut, zunächst parallel der Charente. Enten und Baumspiegelbilder im Fluss. Am Sträßchen nach Châteauneuf-sur-Charente beginnen Weingärten. Dorf folgt auf Dorf. Das Quartier, ein Gästezimmer, liegt direkt an der Strecke. Im Sommer kann man hinterm Haus vor einem Wehr in der Charente baden. Der Fluss rauscht angenehm in den Schlaf.

Vierter Tag: Da brennt der Gaumen

Cognac ruft! Rebgärten stimmen auf den Weinbrand und die Kellereien im gleichnamigen Städtchen ein. Im Schloss lagert der Produzent Baron Otard sein flüssiges Gold. Guide Elisabeth Gillett begleitet ins Allerheiligste. «Beim lange gereiften Cognac trinkt man immer ein Stück Geschichte», sagte sie. Biken und Alkohol sind eigentlich keine Freunde, doch Gillett ermuntert zur Kostprobe. «Elf Uhr, das ist auch für alle Kellermeister die beste Zeit für den Gaumen.»

Wieder auf dem Rad folgen Wiesen, Felder und Rinderweideland. Aus einem Froschteich dringt ein Megakonzert. Schotterige Passagen führen immer wieder an die Charente, die bis zum Tagesziel Saintes begleitet.

Fünfter Tag: Von Saintes nach Rochefort

Saintes sammelt Sympathiepunkte. Da sind die einladenden Uferzonen, der Kleinstadtcharme, das Kulturerbe aus Kathedrale, Pilgerkirche Saint-Eutrope und römischem Amphitheater.

Die Flow Vélo entschleunigt. Und regt auf der 58-Kilometer-Etappe bis Rochefort dazu an, über die Schönheit von Butterblumen, Dornenranken und Marienkäfern zu sinnieren. Die Charente mäandert in Schleifen durch die Landschaft, man passiert Kanäle.

Komplett ausblenden lässt sich die Zivilisation nicht, weder akustisch noch visuell. Mal rauscht Schnellstraßenlärm heran, mal türmen sich Agrarsilos auf. Rochefort verstimmt mit der verkehrsreichen Einfahrt. Und versöhnt mit seinen Hafenbecken, den Charente-Ufern, dem alten Marinearsenal samt Königlicher Seilerei, dem Markt, dem Hauptplatz und der Replik des historischen Dreimasters L’Hermione – falls dieser nicht gerade auf großer Fahrt ist.

Sechster Tag: Der Ruf des Meeres

Gefällige Passagen am Fluss entlang tragen hinaus aus Rochefort. Die Feuchtgebiete dehnen sich hier bis zum Atlantik aus. Das Emissionshoch einer Autobahn löst kurz ein Stimmungstief aus. Dann ist im Festungs- und Ferienort Fouras die Küste erradelt. Zwanzig Minuten dauert die Fährüberfahrt nach Aix, das Rad kostet extra.

Im Sommer fluten Ausflüglermassen den Inselzwerg, in der Nebensaison herrscht idyllische Ebbe. Eine Inselrundtour führt zu Wehrmauern, Felsküste und Hauptstrand. Möwen kreischen, es riecht nach Kiefern.

Siebter Tag: Wo Napoleon weilte

Auf Aix verbrachte Napoleon im Juli 1815 die letzten Tage auf französischem Boden, nachdem er sein Waterloo erlebt hatte. Wie der Feldheer, den ein Denkmal ehrt und der im Ortsmuseum Heldenstatus genießt, heißt es auch für den Radurlauber: Irgendwann muss man weg von der Insel. Napoleon schipperte in die Verbannung. Radler auf dem Flow Vélo fahren am Festland zum nächsten größeren Bahnhof nach Rochefort. Oder, weil’s so schön war, zurück nach Thiviers.

Flow Vélo

Anreise: Eine Alternative zum eigenen Fahrzeug ist die Bahn. Stationen für Beginn und Ende sind Thiviers und Rochefort.

Reisezeit: Ideal sind Frühjahr und Herbst, aber natürlich ist auch den gesamten Sommer über Saison. Dann füllt sich der Küstenbereich.

Übernachtung: Hotels gibt es vor allem in Angoulême, Cognac, Saintes und Rochefort. Auf dem Land finden sich nur vereinzelt Gasthäuser oder Gästezimmer (Chambres d’hôtes).

Fotocredits: Sébastien Laval,Sébastien Laval,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Andreas Drouve,Stéphane Morand

(dpa)

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