Digitale Zeitreise in der Kölner Straßenbahn

Köln – Die Straßenbahn ruckelt etwas, als sie über die Schienen in der Kölner Altstadt fährt. Am Rheinufer läuft eine Frau gerade ihrem wegwehenden Hut hinterher, gegenüber klaut ein Junge heimlich einen Apfel von einem Obsthändler.

Ein normaler Tag in der Domstadt – zumindest fast. Denn es ist nicht das heutige Köln, durch das die Straßenbahn fährt. Es ist ungefähr die Zeit um 1910.

Eine Zeitreise ins «alte Cöln zur Kaiserzeit» – das verspricht das Kölner Start-up
TimeRide. Für 12,50 Euro werden Besucher von Samstag an (30. September) durch drei Stationen der Kölner Geschichte geführt. Höhepunkt der Reise ist eine 15-minütige Straßenbahnfahrt vom heutigen Schokoladenmuseum bis zum Alten Markt.

Tatsächlich fahren Besucher aber nicht durch die Straßen der Domstadt, sondern sitzen in einem Nachbau der ersten elektrischen Straßenbahnen, die es damals gab. Die Kulisse stimmt trotzdem – dank Virtual-Reality-Brillen. Vor den Augen erschaffen sie digital das Köln der damaligen Zeit. Man kann den Blick frei schweifen lassen in der am Computer nachgebauten Welt. Hinzu kommen zur Fahrt der Straßenbahn synchronisierte Rüttelbewegungen und Fahrtwind. Es fühlt sich erstaunlich echt an. «Durch Virtual Reality haben Besucher die Möglichkeit, mitten im Geschehen zu sein», sagt Jonas Rothe, Geschäftsführer von TimeRide.

Bisher werden Virtual-Reality-Brillen vor allem bei Computerspielen eingesetzt. «Bereits in den 1990er Jahren gab es die Videospielkonsole «Virtual Boy» von Nintendo. Allerdings waren Bildschirme und Sensoren damals noch nicht ausgereift», erklärt Felix Falk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktiver Unterhaltungssoftware (BIU). Mittlerweile haben aber auch Automobilbranche und Medizin das Potenzial der Technologie erkannt.

Im Tourismus steht Virtual Reality noch ganz am Anfang. Bisher werde die Technologie nur in Einzelfällen eingesetzt, erläutert Rothe. Aber die Branche habe das Potenzial erkannt. «Durch VR-Brillen lassen sich bestehende Attraktionen neu aufwerten.» So peppt etwa der Europa-Park Rust eine Achterbahn mit dem Einsatz virtueller Welten auf. Im Gelsenkirchener Zoo können sich Besucher dank VR-Brillen als Tierpfleger versuchen.

«Die Möglichkeiten, virtuelle oder weit entfernte Orte quasi direkt erfahrbar zu machen, sind riesig. Dadurch ist diese Technologie für die Tourismus-Branche besonders spannend», sagt BIU-Geschäftsführer Falk. Aus Sicht von TimeRide-Gründer Rothe lautet das Stichwort Individualisierung: «Menschen wollen nicht mehr vorgeschrieben bekommen, was sie sehen möchten».

TimeRide hat mithilfe von Archivbildern, Gemälden und alten Stadtplänen eine nahezu originalgetreue virtuelle Realität der Kölner Altstadt geschaffen. «Durch das 360-Grad-Panorama der VR-Brille habe ich dabei die Möglichkeit, dahin zu gucken und das zu erleben, was ich möchte», sagt Rothe.

Ob sich die Besucher während der Fahrt besonders für die Architektur, das Geschehen auf dem Marktplatz oder den Jungen interessieren, der den geklauten Apfel am Ende doch einem anderen schenkt, bleibt jedem selbst überlassen. Es ist ein individuelles Erlebnis. Es passt damit gut zu dem Kölner Motto, das der virtuelle Straßenbahnschaffner seinen Fahrtgästen am Ende der Fahrt mitgibt: «Levve un levve losse.»

Fotocredits: Rolf Vennenbernd,Rolf Vennenbernd,Rolf Vennenbernd
(dpa)

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